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Reisen planen oder planlos reisen?

  • Autorenbild: Hilge Kohler
    Hilge Kohler
  • 24. Juli 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Aug. 2024

Ich liebe es, Reisen zu planen. Die Route in Gedanken ablaufen. Auf Karten durch die Gegend fahren. Hotels und Campingplätze auf Maps besuchen, in die Hütten schauen und einen Blick auf die Umgebung werfen. Und wenn ich beim Schlendern durch die virtuelle Kartenlandschaft ein einladendes Café oder einen besonders schönen Ort entdecke, werden sie markiert.


Wenn ich Reisen plane, dann bin ich in Gedanken schon unterwegs. Das lindert die Sehnsucht nach dem Reisen, dem Unterwegs-Sein und den freien Momenten auf Tour. Wenn ich die Reise durchgeplant habe, fühlt es sich fast an die Zurück-Kommen: Erinnerungen an herrliche Momente, aber auch das Gefühl, dass die nächste Reise noch viel zu lange auf sich warten lassen muss.


Gerade bin ich gedanklich in Dänemark unterwegs. Ich plane meine sommerliche Tour durch Jütland. Ganz oben in Skagen starte ich, da wo Norwegen und Schweden zum Greifen nahe liegen – zumindest auf der Karte. Von dort oben aus geht es in Richtung Süden. Immer an der Küste entlang, hinter den Dünen und durch Heidefelder. Kaum Menschen unterwegs, die Saison ist schon vorbei, mancher Strandkiosk hat geschlossen, Saisonende. Ich spüre die salzige Meeresbrise in der Nase und höre, wie die Wellen sich am Strand austoben. Sand schummelt sich in meine Schuhe und der Wind kommt irgendwie immer von vorn. 


Irgendwo an der Nordsee: Wenn sich Reiseplanung anfühlt, als sei ich schon da. Foto: Hilge Kohler

Alles schon gesehen – wenn die Planung die Reise vorweg nimmt


Absurd, oder? Da sitze ich zuhause und sammle Erinnerungen an eine Reise, die ich noch gar nicht unternommen habe. Ich habe das Gefühl, die Ecken schon gut zu kennen, die ich erst noch besuchen möchte. Ich weiß, an welchen Stellen mich welche Highlights erwarten und wo es langweilig werden dürfte. Kurze Momente lang denke ich, wozu eigentlich hinfahren, ich kenne doch schon alles.


Es ist ist mir schon auf Reisen passiert, dass ich vor einem Gebäude, auf einem Platz oder in einem Ort stand und dachte: Das hatte ich schöner in Erinnerung, auf Bildern sah es beeindruckender aus und ich hätte es nicht live sehen müssen. Auch absurd. Aber so war es bisweilen. Dann denke ich, vielleicht ist das viele Planen doch keine gute Idee – wenn die Realität nicht mithält. Und ich denke, vielleicht war die Langeweile auf manchen Touren, die Ödnis einiger Orte gar nicht so schlecht – früher, als es kein Maps, Komoot und keine Reiseblogs gab. Vielleicht gehört eine Prise Langeweile zum Unterwegs-Sein mit dazu.


2019 waren wir in Japan unterwegs. War das ein Planungsaufwand gewesen! Die ganze Reise habe ich zuhause durchgeplant: Tokyo – Kyoto – Osaka – Tokyo. Von Tokyo nach Kyoto über Hakone, ein Örtchen inmitten hügeliger Landschaft, berühmt für heiße Quellen. Man kann von Tokyo nach Hakone mit dem Schnellzug fahren, dem berühmten Shinkanzen. Von Hakone aus dann mit einer Regionalbahn auf einen Berg, einige Schritte gehen bis zur Seilbahnstation, von dort mit der Seilbahn direkt über die heißen Quellen zu einem Bergsee, dort zum Anleger und aufs Schiff, quer über den See schippern und am anderen Ende ein Stück am Ufer laufen bis zur Bus-Station und mit den Linienbus zurück nach Hakone fahren.

Letztlich auch nur ein See: Die Rundtour bei Hakone zu planen, war aufregender, als sie abzufahren. Foto Hilge Kohler

Die Tour ist bequem an einem Tag zu schaffen, wenn man gut plant. Also habe ich geplant – minutiös. Fahrpläne gewälzt, Umsteigezeiten angepasst, Routen auf Karten verfolgt, auf Fotos studiert, welcher Werg der schönste ist, und so weiter. Das Ergebnis. Vor Ort hat alles bestens geklappt. Aber aufregend war es nicht. Ich kannte ja alles schon. Der spannendste Moment war, als dem Sohn das Handy aus der Hand rutschte und fast zwischen Zug und Bahnsteig fiel. 


Reiseplanung in der Vor-Internet-Zeit


Es gab ja mal eine Zeit, da haben wir Reisen mit Karten und Büchern geplant. Und mit viel Hörensagen. Wie habe ich es eigentlich geschafft, damals nicht verloren zu gehen auf meinen Reisen? Mit Anfang 20, als Dauerreisende mit vollgepacktem Rucksack und mickrigem Budget?


Von einer Kanareninsel schwärmte eine Freundin. Wir waren Anfang 20 und reisten beide irre gern. Sie hatte von dieser Insel gehört, auf der einige Aussteiger sich in einem großen breiten Tal gemütlich eingerichtet hatten. Eine grüne Insel, mit bergigem Urwald in der Mitte und diesem traumhaften breiten Strand in dem ausgedehnten Tal, in dem man mitten zwischen Bananenplantagen wohnen konnte, das Meer direkt vor der Nase. Da wollte ich hin. Sie erklärte mir, wie es ging: Nimm einen Flug nach Teneriffa, geh zum Busterminal vorm Flughafen, nimm den Linienbus in den Süden der Insel, steige am Hafen aus und nimm das Schiff zur Nachbarinsel. Wenn du auf der Insel angekommen bist, nimmst du einen Linienbus, der dich in das Tal auf der anderen Seite der Insel bringt. Frage die Leute in den Cafés oder auf der Straße, wo du wohnen kannst, und sie werden dir schon ein Zimmer besorgen.


So machte ich es. Ich flog nach Teneriffa, ging hinaus zum Busterminal, und an einer Haltestelle tummelten sich Leute mit Rucksäcken und suchenden Blicken. Ich gesellte mich dazu. Eine Frau sprach mich an, ob ich auch auf die Nachbarinsel wolle. Wir plauderten ein wenig, und schwuppdiwupp entschieden wir, uns auf der Nachbarinsel gemeinsam eine Unterkunft zu suchen. Es war der Start in einen der schönsten Urlaube, die ich je verbracht habe. Die Insel hieß übrigens La Gomera. 


Lieber minutiös planen oder komplett treiben lassen?


Nach dem Urlaub auf La Gomera hatte ich eine Idee. Einen Traum, den ich gern umgesetzt hätte, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre. Ich träumte von einer Reisebörse für Alleinreisende, die auf eigene Faust, mit Rucksack und einem Minimum an Abenteuerlust die Welt erkunden wollten. Einem Ort, an dem ich Anfragen fürs Mitreisen (wie die Mitfahrzentralen, die es damals schon gab), für gemeinsame Unterkünfte, für Reisemöglichkeiten im Zielland stellen könnte. Ein Platz, an dem ich auch selber antworten würde, wenn jemand eine Frage stellte. Und an dem wir, weil wir ja alle die Leidenschaft am Reisen auf eigene Faust teilten, uns bestens verstehen und einander helfen würden. Wie profan das auch heutiger Sicht klingt, oder?


Reiseplanung ohne Online-Reisebörse, ohne Internetsuche und interaktive Karten: Irgendwie hat das immer funktioniert. Irgendwie bin ich da angekommen, wo ich hin wollte. Und wenn nicht, dann bin ich an Orten gelandet, die mindestens genauso spannend waren. Ich habe Leute getroffen, denen ich sonst nicht über den Weg gelaufen wäre.


Wann ist mir das eigentlich zuletzt passiert? Dass ich irgendwo hin wollte, aber mich etwas davon abgebracht hat? Dass ich umplanen musste oder einfach einem anderen Weg folgte und etwas Ungeahntes entdeckte? Eigentlich schade, dass Maps & Co mir immer einen ziemlich genauen Weg vorgeben. Und dass ich mich so daran gewöhnt habe, meine Touren zu planen. So sehr, dass ich es gar nicht mehr gewohnt bin, mich von Ort zu Ort treiben zu lassen.


Vielleicht werde ich es wieder versuchen. Diesen Sommer in Jütland. Einfach in den Tag hinein fahren und sehen, wo ich lande. Bleiben, wo es mir gefällt, und weiterziehen, wenn es mich weiter treibt. Naja, sicherheitshalber kann ich ja über Booking einige Unterkünfte mit kostenloser Stornierung buchen.

Beitragsbild von Z auf Unsplash


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